Die Tür fiel mit einem Knall ins Schloss.
Sie zuckte zusammen, wagte es aber nicht, hochzusehen. Mit eingezogenem Kopf, die Arme schützend über ihren geschwollenen Leib gelegt, kauerte sie auf dem Bett. Das Klackern des Schlüssels beim Versperren der Tür beruhigte sie nicht. Schon einmal hatte sie gedacht, die Gefahr wäre vorbei, ihr erleichtertes Aufatmen war sie teuer zu stehen gekommen. Der Schlüssel war von innen gedreht worden.
Sie bewegte sich nicht. Mit gesenktem Kopf wartete sie auf ein verräterisches Rascheln oder Atemzüge. Minutenlang sicherte sie über ihr Gehör wie ein Tier, das nicht wagte, aus seinem Bau an die Oberfläche zu kommen. Langsam hob sie den Kopf. Sie zwang sich die Augen zu öffnen, ihr Blick flog in jeden Winkel.
Sie war allein.
Ihr Atem entwich befreit, den sie vor Anspannung angehalten hatte. Gleichzeitig spürte sie die leichten Tritte, und strich sanft über ihren Bauch. Ihr Wimmern ging in ein Summen über, ein Lied aus ihrer Kindheit. Sie wiegte sich im Rhythmus der Melodie vor und zurück. Wie so oft dachte sie darüber nach, wie es so weit hatte kommen können.
Am Anfang war er so liebevoll mit ihr umgegangen. Doch nach der Heirat wurde er zunehmend ungehalten und rastete bei jeder Kleinigkeit aus. Sie durfte die Freunde nicht mehr sehen, die Landsleute sowieso nicht. Seine Eifersucht, seine ungerechtfertigten Vorhaltungen und sein Kontrollwahn endeten immer öfter in Tätlichkeiten. Als sie noch unter Leute ging, schlug er ihr nie ins Gesicht. Die Hämatome am übrigen Körper, die Würgemale, verbarg sie unter ihrer Kleidung. Sie hatte nie gewagt, jemandem davon zu erzählen. Schon gar nicht, ihn zu verlassen. Sie war überzeugt, er hätte sie halb tot geprügelt.
Später verbot er ihr, aus dem Haus zu gehen. Anfangs durfte sie noch in den Garten, nach ein paar Monaten war auch das vorbei. Wenn er Besuch empfing, musste sie in ihrem Zimmer bleiben. Dabei wusste sie, wem sie das alles zu verdanken hatte. Wer ihrem Mann die Lügen über sie einimpfte, seine Seele vergiftete. Das hatte sie ihm auch gesagt. Doch er hatte ihr nicht geglaubt. Im Gegenteil. Er war wütend geworden und hatte ihr massiv gedroht, sollte sie noch einmal integre Menschen verunglimpfen.
Dann wurde sie schwanger.
Zuerst entspannte sich die Situation, er schien sich zu freuen. Das war nur von kurzer Dauer.
Die Bestie Eifersucht wurde wieder geweckt.
Einmal hörte sie ein Telefongespräch mit. Sie wollte mit ihm darüber sprechen, bekam aber keine Gelegenheit dazu. Sie musste einen Koffer packen und sich mitten in der Nacht ins Auto setzen. Sie wurde in ein Verließ gebracht, einen fensterlosen Raum, mit nichts als dem Lebensnotwendigsten. Ein Kellerloch, das feucht und muffig roch. Eine Frau brachte ihr Essen und untersuchte sie ab und zu. Sie hatte harte Gesichtszüge und sprach kaum ein Wort mit ihr.
Die Frau war ihre einzige Hoffnung.
Stöhnend erhob sie sich vom Bett und wankte in das seitliche Gelass, wo sie sich notdürftig waschen konnte. Sie stützte sich am Waschbecken ab und untersuchte ihr Gesicht im halb blinden Spiegel. War sie das? Das bleiche Gesicht war ihr fremd geworden. Eine Lippe war aufgeplatzt. Sie hatte jeden Zeitbegriff verloren, aber ihr praller Bauch sagte ihr, dass die Entbindung in Kürze bevorstand.
Ein bohrender Schmerz fuhr durch ihren Körper. Sie unterdrückte einen Schrei und krümmte sich zusammen. Noch nicht. Oh bitte, noch nicht. Sie war noch nicht so weit.
Langsam verebbte der Schmerz. Sie musste die Panik niederkämpfen. Heftig atmend richtete sie sich wieder auf.
Es blieb ihr nur mehr wenig Zeit. Deshalb musste sie die einzige Chance nutzen, die sie hatte.
Denn sobald die Geburt vorbei war, gab es keine Veranlassung mehr, sie am Leben zu lassen.
Sie würde sterben.
Das spürte sie.